Graz

F O T O S

Jan_Federer, Stefan_Lind

T E X T

Robert_Sartori

Als mir der Auftrag erteilt wurde, den Graz Artikel textlich zu begleiten, war ich zunächst etwas ratlos, wie diese große Verantwortung der Grazer Skateszene gerecht werden könnte. Den jüngsten Handlungen, einer netten volksnahen und stets am Puls der Zeit agierenden Partei, ist es nun zu verdanken, dass sich meine ursprüngliche geistige Zerwürfnis im Nebel komprimierten Schwachsinns verlor. Ein Gesetz das nicht Skaten, sondern Tricks im öffentlichen Raum verbietet? Medial inszenierte Probleme, die ein Miteinander als groteske Utopie erscheinen lassen? Zunächst für einige Lacher gut, danach bleibt nur die Gewissheit, dass eine Partei dessen Funktionäre 80% ihrer politischen Karriere in einem Bierzelt verbringen, vielleicht nicht über soziale Fragen einer modernen Gesellschaft entscheiden sollte.

Für politisch Verantwortliche ist es sicher nicht immer nachvollziehbar, wieso das Konzept der Brechreiz erregenden blauen Plastikrampen, die viel zu lange den kulturellen Mittelpunkt der österreichischen Skateszene darstellten, nicht mehr funktioniert. Tatsache ist, dass sich aktive SkateboarderInnen nicht mehr mit der Rolle der sozialen Außenseiter zufrieden geben, sondern als aktive und geschlossene Gemeinschaft auftreten. So ist es nur naheliegend, dass eben diese Gemeinschaft den urbanen Raum nutzen und mitgestalten will, anstatt sich stetig auf das Befahren von seltsamen Konstruktionen (Skateparks) am Stadtrand reduzieren zu lassen. 

Dieser Konflikt wurde in Graz definitiv auf die Spitze getrieben. Besonders interessant ist die unterschiedliche Herangehensweise der Streitparteien. SkateboarderInnen, vertreten durch den Grazer Rollbrett Ästheten Bund (im folgenden GRÄB genannt), setzten auf Kommunikation und Kompromisse mit AnrainerInnen und PolitikerInnen. Die Grazer FPÖ setzt auf ein zweistündiges Windows Movie Maker Seminar, um ein völlig absurdes und realitätsfremdes Video zu produzieren, das die menschliche Vernunft auf eine harte Probe stellt. Die restlichen Parteien sind froh, die Verantwortung abgeben zu können und so indirekt von der Situation zu profitieren, schließlich befinden sie sich am Rande der Debatte und vermeintlich ihrer Zuständigkeit. 

Die Grazer FPÖ setzt auf ein zweistündiges Windows Movie Maker Seminar, um ein völlig absurdes und realitätsfremdes Video zu produzieren, das die menschliche Vernunft auf eine harte Probe stellt

Natürlich ist es bei jeder Debatte wichtig beide Ansichtsweisen zu berücksichtigen, um am Ende des Tunnels den Semmering zu sehen. Prinzipiell kann der Ursprung allen gegenwärtigen Übels auf den Lendplatz, im idyllischen Bezirk Lend, zurückverfolgt werden. Ein paar harmlose Granitblöcke, die primär vor Terroristen im Besitz eines B-Führerscheins schützen sollten, wurden zum Alptraum einer Hand voll AnrainerInnen, die sich einer permanenten Ruhestörung ausgesetzt fühlten. Allen voran ein im Volksmund als „Libro Johnny“ bekannter Mann, der in einer Wohnung direkt über dem Platz des Anstoßes residiert. Johnny hat wohl einiges in seinem Leben richtig gemacht und genießt nun die Gunst diverser ParteifunktionäreInnen von FPÖ und ÖVP (es gilt die Unschuldsvermutung). Johnny darf ein Handy mit Videofunktion und einen Hammer zu seinen stolzen Besitztümern zählen, die er auch effektiv gegen die fürchterliche Ausgeburt einer sozialen Randgruppe einzusetzen weiß. Dass der besagte Hammer dem öffentlichen Eigentum weit mehr Schaden zufügt als unschuldige Ledge-Sessions, wird, als nicht relevanter Tatbestand ad acta gelegt. Jedenfalls sind die Locals der Meinung, das „Libro Johnny“ für die Entstehung und Erhärtung der Auseinandersetzung hauptverantwortlich ist. Natürlich entwickelte die ganze Geschichte, nachdem sie von politischen WürdenträgerInnen und Medien aufgegriffen wurde, eine gewisse Eigendynamik.

Tatsache ist, dass ohne die Bemühungen von GRÄB, der Lendplatz schon weit früher zur Sperrzone für SkateboarderInnen degradiert worden wäre. Ein Verein ist eben eine Institution, der in höheren Kreisen einen gewissen Respekt  genießt und dessen Interessen nicht einfach unberücksichtigt bleiben können. Stefan Lind, intellektueller Skateboarder und passionierter Lendplatz Local, findet für diese Problematik folgende Worte: „Graz ist halt so ein Bauerndorf, wo man ohne Verein kein Gehör bekommt“. Die Vereinsstruktur ist also eine Notwendigkeit, um den kollektiven Bemühungen Gehör zu verschaffen. Der Skatepark im Volksgarten, unweit des Lendplatzes gelegen, ist ebenfalls den Bemühungen von GRÄB zu verdanken. Zugegebenermaßen wurde das Potential des Projektes nicht wirklich ausgeschöpft, was verständlicherweise für einigen Unmut sorgte. 

“Johnny darf ein Handy mit Videofunktion und einen Hammer zu seinen stolzen Besitztümern zählen, die er auch effektiv gegen die fürchterliche Ausgeburt einer sozialen Randgruppe einzusetzen weiß”

Die Koalition der erbosten AnrainerInnen mit FPÖ/ÖVP führte schlussendlich zu einem bürokratischen Geniestreich, der sich in einer befremdlichen Auslegung der STVO manifestierte. Ein vermeintlich mit der FPÖ sympathisierender Rechtsanwalt hatte den grandiosen Einfall die Gesetzgebung zu nutzen, um den KollegInnen der Exekutive den dringend benötigten Handlungsspielraum einzuräumen. Die Kurzfassung: Rollen ja, Tricks nein. Einen gewisser Interpretationsspielraum, auch Willkür genannt, wollen wir den beteiligten ProtagonistInnen nicht unterstellen. 

Aktuell ist Skateboarden an öffentlichen Plätzen in Graz verboten, ein trauriges Zeugnis einer Gesellschaft, die einen kompromissorientierten Diskurs mit elitären Mitteln unterbindet. Laut Sportstadtrat Hohensinner, sollen in naher Zukunft zwei Plätze in der Grazer Innenstadt für SkateboarderInnen zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus will man 70.000 Euro für skatebare Elemente investieren. Ein Lichtstreifen am Horizont, bleibt nur zu hoffen, dass keine Concrete Rudolph Lagerbestände in Zukunft das Grazer Stadtbild verunstalten. 

Abseits der leidigen Debatte, ist die Skateszene in Graz eine der vielseitigsten und kreativsten in ganz Österreich. Die neuen Ledges am Lendplatz brachten zwar definitiv frischen Wind, allerdings hat die Stadt für die  ambitionierten SkateboarderInnen noch mehr zu bieten. Nach wie vor gibt es motivierte Crews, die sehenswerte Videoprojekte dem zähflüssigen Insta-Sumpf vorziehen. Außerdem gibt es grundsätzlich einen hohe Dichte an guten Spots, die über die Jahre leider etwas in Vergessenheit geraten sind. Erwähnenswert sind die Videoprojekte von Julian Glanzer „HEKTIK“ sowie Christian Neuhold und Luki Krobaths „111 FILM ÜBER NÄCHSTENLIEBE“, die mit unerschöpflicher Kreativität und Erfindungsreichtum quasi unskatebare Spots ihren eigenen Stempel aufdrücken. Einen guten Kontrast liefern die Full Length Videos von Hammered Skateboarding oder m2Lab, die eher eine klassische Herangehensweise bevorzugen.

Nach außen also eine heile Welt? „Nein“, streitet Stefan Lind vehement ab. Auf die Missstände in Graz angesprochen, redet sich Lind förmlich in Rage, „für Grazer ist jeder Spot immer zu weit weg, das Umland ist mit blauen Plastikrampen gepflastert, die 50-50 Kickflip out Helden züchten, Videos werden 5 Jahre gefilmt und kommen dann nicht raus…“, die Liste scheint endlos. Der angestaute Frust des jungen Grazers mit einem Faible für Ironie und Insta Feeds ist sicherlich berechtigt, allerdings sind diese Kritikpunkte keineswegs Graz spezifisch. Wer weiß, vielleicht bewegt das umstrittene Gesetz ja den/die eine/n oder andere/n GrazerIn wieder dazu, den Safe Space Lendplatz kurz den Rücken zu kehren, um das Glück auf den harten Straßen auf die Probe zu stellen? Vielleicht findet ein 50-50 Kickflip out Held ja doch noch einen Backtail und wird zur Stilikone eines ganzen Landstriches erkoren. In jedem Falle ist das Gesetz sinnlos und Lind vielleicht nicht der beste Repräsentant einer durchwegs positiven und jungen Grazer Skateszene.

“Abseits der leidigen Debatte, ist die Skateszene in Graz eine der vielseitigsten und kreativsten in ganz Österreich.”