Kopenhagen

„DAS GEWOHNHEITSTIER“ – MAX GEISELBRECHTINGER

Dieser Artikel wurde vom Autor, im Auftrag von ABD, zur Ergänzung der Kopenhagen Sommer Tour 2019, verfasst. Es wird keine Garantie auf Vollständigkeit und Korrektheit der angeführten Themen gewährleistet.

F O T O S
Jan_Federer

T E X T
Max_Geiselbrechtinger

I N T E R V I E W

Thomas_Cervenca

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und das ist auch gut so. Es erleichtert ihm das Leben. So werden durch das Auslagern gewohnter Handlungen in den Zuständigkeitsbereich des Unterbewusstseins, neue Kapazitäten für das bewusste Denken freigestellt. Frau/Mann stelle sich das Gehirn als komplexe Datenverarbeitungsmaschine vor. Diese kann durch das Auslagern unabhängiger Teilaufgaben auf periphere Einheiten (eg. Memory Management Unit) die zentrale Recheneinheit (ie. CPU) entlasten. Natürlich ist dieses Modell nur bedingt anwendbar, da das menschliche Gehirn mehr Ähnlichkeiten mit einem verteilten Rechennetzwerk, als einem zentralen Prozessor aufweist.Nichts desto trotz sind es Gewohnheiten die es ermöglichen, dass wir uns auf das Wesentliche kon- zentrieren und Nebensächliches ausblenden können. So hat sich zum Beispiel im deutschsprachi- gen Raum das QWERTZ-Tastaturlayout etabliert und Hackern ermöglicht, sich voll und ganz auf die Semantik des Codes zu fokussieren, ohne über dessen Eingabe nachdenken zu müssen. Es scheint, solange unsere Umgebung im Status quo verharrt, verlauft auch alles wie gewohnt nach Plan.

Jedoch befinden wir, die Gewohnheitstierchen, uns in einem dynamischen Umfeld, welches uns durch Ablenkungenjederzeit vom Kurs abbringen könnte. Auf eine ungewohnte Flugbahn abzudriften klingt verheerend. Deshalb fürchten wir uns auch oft vor äußerlichen Einwirkungen. Dabei sind kleine Disturbationen, die in der Technik auch als Noise bezeichnet werden, von Nöten um ein System robuster zu machen. Wirklich problematisch für ein dynamisches Systemist die Versteifung. In der Stochastik wird dieser Prozess mit Overfitting beschrieben. Dieser Begriff besagt, dass sich ein System zu sehr an etwas Spezifisches gewöhnt hat und dadurch in einem lokalen Minimum gefangen ist. DasGewöhnen ist also zur Gewohnheit geworden. Wer seine Gewohnheiten nicht mehr hinterfragt, fällt schnell in eine Spirale der Routine. Ein fortgeschrittenes Exemplar dazu stellt das tägliche respawnen an der Resselstatue dar (Anm. das Statuenverbot ist bis auf Widerruf [noch]aufrecht). Ebenso die allseits bekannte Antwort von Jederfrau/mann auf die Frage, mal einen anderen Spot abzuchecken: ”Na, is zu weit.”, stellt ein Indiz auf überbordende Gewohnheit dar. Das kleine Geschwisterchen der Gewohnheit, die Gemütlichkeit, trägt natürlich auch seinen Teil zu diesen Phänomenen bei. Jedoch werde ich aus Gründen der Komfortabilität hier nicht weiter darauf eingehen. Des Weiteren werden o.B.d.A die Auswirkungen der beiden Eigenschaften als äquivalent betrachtet.

WER SEINE GEWOHNHEITEN NICHT MEHR HINTERFRAGT, FÄLLT SCHNELL IN EINE SPIRALE DER ROUTINE. EIN FORT- GESCHRITTENES EXEMPLAR DAZU STELLT DAS TÄGLICHE RESPAWNEN AN DER RESSELSTATUE DAR

Dieser Artikel soll keinesfalls als Angriff gewertet werden. Ganz im Gegenteil. In mir schlummert auch ein hässliches kleines Gewohnheitstierchen und deshalb bin ich auf der Suche nach Verbündeten, die bereit sind diesen Parasiten mit mir zu bekämpfen. Wie das Glück es wollte hat mir eine Fügung, gemeinhin bekannt als Sommerferien, ein Team stabiler Soldaten beschert, welche mit mir in den Kampf gezogen sind. Mit Kampf versteht sich selbstverständlich die Flucht, ein billiger Economy-Flug raus aus dem gewohnten Habitat. Wie sonst kann die Gewohnheit bekämpft werden, wenn nicht durch eine Reise ins Ungewohnte? Oder um es wie Christopher J. Nolan in Interstellar auszudrücken: ”Newton’sthird law – the only way humans have ever figured out of getting somewhere, is to leavesomething behind.”

Thomas, kannst du dich erinnern, wann du vor unserem Besuch das letzte Mal so oft skaten warst?
Haha, naja selbst geskatet bin ich ja gar nicht so viel, aber mir taugts einfach, mit Leuten unterwegs zu sein, die motiviert sind. Ich wär ja am liebsten selbst den ganzen Tag unterwegs, würde von Spot zu Spot fahren und das Ganze mit einem Bierchen in der Abendsonne abschließen. Meine Crew hier ist da leider nicht ganz so motiviert, die muss man schon richtig zum Skaten und Filmenzwingen. Generell macht mir filmen schon fast mehr Spaß alsselber skaten. Mir kommt manchmal vor, dass ich mehr Freude aneinem von mir gefilmten Trick hab, als die Person die ihn geradegemacht hat. Mir reicht es mittlerweile, wenn ich mich drei Stunden die Woche irgendwo auspowern kann. Dann bin ich zufrieden und mein Körper muss sich eh wieder sieben Tage erholen. Hätte nicht damit gerechnet, dass noch mal ein Skatefoto von mir in einem Magazin gedruckt wird. Vielen Dank dafür!

Ich glaube, man muss jetzt nicht aus Wien kommen um den krassen Unterschied zu erkennen, wie freundlich und zufrieden eine Bevölkerung sein kann. Was macht die Leute so massiv entspannt in Kopenhagen? Das viele Radfahren und 35 Stun- den Woche?

Ich denke das hat einfach Großteils mit dem dänischen Sozial- system zu tun, welches einfach funktioniert. Obwohl die Dänen überdurchschnittlich hohe Steuern von bis zu 52 % auf ihren Monatslohn zahlen, bekommen sie einiges dafür zurück. Der Staat bezahlt die Krankenversicherung, Studenten bekommen ca. 700€ pro Monat für den Akt des Studierens, das Arbeitslosengeld ist hoch, bezahlte Karenz von bis zu 32 Wochen, usw. Ich glaube, als dänischer Staatsbürger muss man’s schon richtig versuchen, wenn man an den Rand der Gesellschaft abdriften möchte. Also kein Wunder, dass alle so entspannt sind. Die Arbeitszeitensind auch wesentlich niedriger als in den meisten anderen EU Staaten. Irgendwie haben alle verstanden, dass es wichtig ist, zufrieden zu sein. Das führt dann auch dazu, dass trotz all dem die Wirtschaft nicht darunter leidet. Man muss aber auch sagen, dass ihr die absolute Idealsituation erlebt habt. Generell sind die schönen Tage recht spärlich gesät, weswegen dann bei den ersten Sonnenstrahlen gleich alle in Shorts unterwegs sind und alle umarmen wollen. Im Winter sitzen dann alle in den Bodegas, reden mit niemandem und saufen sich an. Winter in CPH kann schon zach, dunkel und lang sein. Dafür sind die langen Sommer- tage, an denen es bis weit nach Mitternacht dämmert, umso schöner!

IM WINTER SITZEN DANN ALLE IN DEN BODEGAS, REDEN MIT NIEMANDEM UND SAUFEN SICH AN. WINTER IN CPH KANN SCHON ZACH, DUNKEL UND LANG SEIN

Autos sind gegenüber Fahrrädern in der Stadt klar in der Min- derheit. Es gibt regelrecht Rush Hours auf den Fahrradwegen, die gefühlt immer größer als die Autofahrbahnen sind. In Wien wäre es undenkbar, wenn z.B. am Gürtel ein Fahrstreifen für den Radverkehr herhalten müsste. Warum ist uns da Kopenha- gen so weit voraus?

Das Lustige ist, dass Dänemark nicht schon immer so eine fahrrad- freundliche Stadt war. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das Fahrrad in Dänemark schon populär und während des Krieges war Treibstoff nur schwer verfügbar – deswegen sind damals alle mit dem Rad gefahren. In den 60ern und mit dem wirtschaftlichen Aufschwung wurde dann auch hier das amerikanische Model sehr populär. Alle sind in neu gebaute Suburbs gezogen und haben sich ein Auto ge- kauft, um damit zur Arbeit in die Stadt zu fahren. Damals ist dann fast niemand mehr mit dem Rad gefahren – bis zur Ölkrise. Dadurch, dass Dänemark auf den Treibstoff aus Mitteleuropa angewiesen war, wurden langsam „Car-free Sundays“ eingeführt und den Leuten hat das gefallen. Es gab dann immer mehr Demonstrationen und der Staat hat begriffen, dass den Leuten Fahrradfahren wichtig ist und sie dadurch auch ein Zeichen für Klima und Umweltschutz setzen können. In den letzten 40 Jahren ist die Stadt einfach langsam zu dem geworden, was sie jetzt ist und konzentriert sich viel mehr auf den Ausbau von Fahrradwegen. Und genau deswegenfinde ich, ist Dänemark ein super Beispiel dafür, dass es sehr wohlmöglich wäre, eine Stadt sinnvoll zu adaptieren und am Gürtel einen Fahrradstreifen einzuziehen. Das wäre in der heutigen Zeit sogar mehr als wichtig. Die Dänen haben Umweltschutz schon vor 40 Jahren verstanden und haben Kopenhagen einfach daran angepasst. Ich glaube, dafür ist die Politik und Bevölkerung in Österreich noch nicht weit genug.

Auch dem Skateboardfahren, scheint man in Kopenhagen ungewohnt positiv gegenüber zu stehen. Wir wurden in der ganzen Woche kein einziges Mal gekickt und eher hat man das Gefühl gehabt, überall Skaten zu dürfen. Wird es einfach akzeptiert in der Stadt?

Die Stadt hat eine Zeit lang Projekte gefördert, die Menschen an öffentliche Orte bringt und das ging ganz gut mit Skateparks. Wie in Wien, gibt’s hier auch eine Crew die viele DIY-Parks betoniert und die haben ein paar von diesen Projekten umgesetzt. Unter anderem waren die auch dafür verantwortlich, dass nach der Renovierung vom roten Platz in Nørrebro zumindest noch ein kleiner Teil skatebar blieb. Allerdings hat sich das in den letztenJahren etwas geändert, weil diese Plätze nur eine Demografievon, wie es mein Freund James sagt, “30-jährigen Dickies-Trä-gern” anzieht, und die Stadt mehr Diversifikation wünscht. Wasuns auch zu deiner Frage bezüglich der Akzeptanz von Skatern

in CPH bringt. Ich denke, dass die Leute hier grundsätzlich etwas entspannter sind und sich deswegen vom Skaten nicht so bedroht fühlen. Allerdings war auch schon im Gespräch, das CPH-Open zu verbieten und die Leute werden dem Ganzen schon etwas sensibler gegenüber.

Kopenhagen hat eine unglaublich gute Szene… welche Brands/ Filmer/Mags/Skater prägen das deiner Meinung besonders?Polar ist auf jeden überall zu sehen. Liegt wahrscheinlich daran, dass die Brand aus dem Nachbarland kommt, die Pros teilweise in CPH wohnen und man Hjalte oder Ville leicht mal irgendwo trifft. Automatisch prägen die damit die Szene. Auch Tor Strom, der allePolar Videos filmt, ist meiner Meinung nach maßgeblich an derIdentität der Marke beteiligt. Kombiniert mit Pontus‘ Editing-Skillskommen da schon immer Videos raus, die einen sehr definiertenStyle haben.